Wiener Krankenanstaltenverbund - Verkürzung der Dienstdauer
im Pflegeberuf als Maßnahme zur Erhöhung von Gesundheit , Arbeitsbewältigung und Wirtschaftlichkeit im Kaiserin Elisabeth Spital des Wiener Krankenanstaltenverbundes
Name des Unternehmens
Wiener Krankenanstaltenverbund
Branche
Gesundheits- und Sozialwesen
Kurzbeschreibung des Projekts
Der Pflegeberuf ist ein attraktiver Beruf, der jedoch unter einer hohen Fluktuation leidet. Nur 15% MitarbeiterInnen im patientennahen Pflegedienste sind älter als 35 Jahre. Dies bedeutet einerseits einen hohen Abfluß gesundheits- und lebenserhaltender Kompetenz und Erfahrung, anderseits hohe Fluktuations- und Rekrutierungskosten. Der Erhalt und Verbleib der erfahrenen PflegemitarbeiterInnen ist angesichts des Älterwerdens der Bevölkerung und dem enorm steigenden Pflegebedarf eine Schlüsselfrage für die Lebensqualität in dieser Gesellschaft.
Der Pflegeberuf selber verlangt Gehen, Stehen, Heben, Tragen sowie die biologisch beanspruchende Nachtarbeit. Lange und ungünstige Arbeitszeiten rangieren an zweiter Stelle der Ausstiegsgründe aus dem Pflegeberuf. Arbeitswissenschaftlich wird der Pflegeberuf als mittelschwere bis schwere Tätigkeit eingestuft und maximal 8 Stunden Arbeit am Stück empfohlen. Die Dienstlänge bei körperlich beanspruchenden Tätigkeiten sollte zudem mit dem Älterwerden abgesenkt werden, damit keine Überforderung und chronischer Stress entsteht, der die Arbeitsbewältigung nachhaltig reduziert. Neben einer größeren Krankenstandsrate bedingen lange Dienste eine höhere Personalreserve und mehr Überstunden.
Das Projekt Senkung der täglichen Dienstdauer von 12,5 Stunden auf 8-10 Stunden war Teil des KAV-Programms Existenzsicherung durch Wandel und hatte folgende Ziele:
- Personalwirtschaftliche Verbesserung durch Reduktion von Ausfallzeiten (Krankenstand, Personalreserve) und Reduktion von Überstunden
- Altersverträglichkeit der Arbeitszeiten, um den längeren Verbleib erfahrener MitarbeiterInnen im patientennahen Pflegedienst zu sichern
- Leistungsqualität beim Patienten erhöhen und die ganzheitlich-intuitive Qualität der Arbeit beim Älterwerden nutzen
- Teamstabilität durch Altersvielfalt, insbesondere auf den Intensivstationen erhöhen
- Begonnen wurde das Projekt mit einer Reduzierung der Tagesarbeitszeit auf unter 10 Stunden täglich. In einem zweimonatigen Erprobungszeitraum wurden die Dienstzeiten von Montag bis Sonntag mit 8-10 Stunden und der Nachtdienstbeginn auf 21.00 Uhr festgelegt.
Die neuen Dienstzeiten wurden jedoch von den PflegemitarbeiterInnen zunächst nicht gut angenommen. Die geringe Akzeptanz war darauf zurückzuführen, daß Probleme mit der zeitlichen Organisation des Privatlebens bei den PflegemitarbeiterInnen - die sich zwangsläufig aus der zu kurzen Umsetzungszeit ergaben – zu einem subjektiven Gefühl der Mehrbelastung führten. Daher wurde das Pilotprojekt adaptiert um finale Anpassungen an bestehende Rahmenbedingungen und Dienstzeitenänderungen vorzunehmen (z.B. Nachtdienstbeginn wieder um 19.00 Uhr). Die geänderten Dienstzeiten wurden ab 1.10.1996 an allen Normalpflegestationen (ausgenommen Intensivstationen) des Kaiserin Elisabeth-Spitals umgesetzt.
Form der Umsetzung:
- Mischform der Dienstzeiten: Montag bis Freitag: 8-10 Stunden
- Samstag und Sonntag: 12,5 Stunden, Nachtdienstbeginn: 19.00 Uhr
Dieses Arbeitszeitmodell wurde 1997 evaluiert. IBG-Österreich führte gemeinsam mit dem arbeitsmedizinischen Dienst des Kaiserin Elisabeth-Spitals eine Untersuchung zur “Lebensqualität, Gesundheit und Arbeitszeit” durch. Ziel der Untersuchung war es auch, die Konsequenzen der neuen Dienstzeitenregelung auf die private Situation der MitarbeiterInnen zu erfassen und zu bewerten, um auf individuelle Bedürfnisse besser reagieren zu können. Außerdem sollte die arbeitswissenschaftliche Bewertung des Arbeitszeitmodells hinsichtlich seiner gesundheitsfördernden Auswirkung die Entscheidung über die Beibehaltung und den Modellcharakter des Versuchs möglich machen.
Ergebnisse der Befragung
Die Rücklaufquote der Fragebogenerhebung war mit 83% sehr hoch. Die große Mehrheit der PflegemitarbeiterInnen ist der Ansicht, eine Dienstzeit von 8-10 Stunden sei besser für Gesundheit, Entwicklung und das Älterwerden. Ein Drittel der MitarbeiterInnen bevorzugt eine Tagesarbeitszeit von 8 Stunden. Je mehr Erfahrung mit 8 Stunden Diensten, um so höher die Zustimmung. Ablehnung dagegen war in Bereichen zu erkennen, in denen keine 8-Stunden-Dienste eingeführt wurden und diese nicht erlebt werden konnten. Die Zustimmung zu den kürzeren Dienstformen steigt eindeutig mit dem Alter, mit familiären Ansprüchen, dem Stressempfinden und der Anzahl der Krankheiten.
Die Ergebnisse der Befragung zeigen, dass entsprechende Dienstzeitenregelungen die Arbeitszufriedenheit, die Lebensqualität und die Gesundheit des Pflegepersonals verbessern können. Gleichzeitig machen die Ergebnisse klar, daß im Hinblick auf die älterwerdende Belegschaft im Pflegebereich adäquate Maßnahmen möglich sind.
Ein zusätzlicher, vor dem Hintergrund der aktuellen Sparmaßnahmen nicht zu vernachlässigender wirtschaftlicher Effekt, der aus dem Arbeitsmodell resultiert, ergibt sich aus dem Rückgang der frei verrechneten Überstunden. Verglichen mit 1995 reduzierten sich die Überstunden 1996 um 44% . 1997 war eine Reduktion um weitere 17% zu verzeichnen. Auch die Krankenstände konnten in diesem Zeitraum um 30,4% gesenkt werden.
Trotz aller positiven Ergebnisse ist das Projekt 2001 beendet worden. Grund dafür war die massive Unzufriedenheit eines Teils der Belegschaft, der weiterhin 12-Stunden-Schichten bevorzugte. Möglich ist auch, dass der Übergang von dem bisherigen Modell auf 8-Stunden-Schichten zu rasch vor sich gegangen ist und eine stressfreie Umstellung für das Personal deswegen nicht möglich war.
Dennoch sind erfreuliche Änderungen zu verzeichnen: Die Möglichkeit 12 Stunden zu arbeiten ist wieder vorhanden, wird aber weniger genützt. Nun sind es etwa 20% der PflegemitarbeiterInnen, die auf freiwilliger Basis während kürzerer Schichten arbeiten. Die überlangen, nur wenig gesundheitsfördernden Arbeitszeiten sind nicht mehr die unumstößliche Regel.
Die Projektergebnisse im Rahmen der flexiblen Diensteinteilung sind im gesamten Wiener Krankenanstaltenverbund eingeflossen, sodass es in allen Krankenanstalten und Geriatriezentren des Wiener Krankenanstaltenverbundes, aufbauend auf dem Arbeitszeitmodell des Kaiserin-Elisabeth-Spitals, im Rahmen der flexiblen Diensteinteilung in allen Bereichen Mischformen vor allem der Tagesarbeitzeit, aber auch der Nachtarbeitszeit gibt.
Handlungsfelder
Arbeitsorganisation, Arbeitszeit, Gesundheit, Personalentwicklung, Prävention
Art der Tätigkeiten
Psychosozial und sozial
Beschreibung des Unternehmens
Der Krankenanstaltenverbund ist mit rund 30.000 MitarbeiterInnen in 24 Spitälern und Pflegeheimen eines der größten Unternehmen Österreichs. Das Kaiserin Elisabeth Spital verfügt über etwa 280 Betten, 700 MitarbeiterInnen, davon 300 im Pflegebereich. 1993 wurde ein Transformationsprozess begonnen und die einzelnen Häuser in eigenständige Unternehmenstöchter übergeführt. Insbesondere der Pflegebereich erlebte einen großen Aufschwung und errang eine große Zahl an europäischen und internationalen Auszeichnungen (4-mal TQM-Preis Golden Helix). Die kleineren Spitäler trugen mit dem Programm Existenzsicherung durch Wandel bei.
Bundesland:
Wien
Adresse:
Rathaus
1082 Wien
Homepage:
www.wienkav.at
E-Mail:
post.internet@wienkav.at
Weitere Informationen
Gesunde Arbeitszeiten für PflegemitarbeiterInnen im Krankenhaus Kriterien und Modellprojekte zur gesundheits- und altesgerechten Arbeitszeitgestaltung
Hrsg. Rudolf Karazman (IBG-Österreich), Charlotte Staudinger (KAV-Wien) Verlag für Gesundheitsförderung, G.Conrad, Gamburg 1999